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Religion ein Lernprozess

- in der eigenen Gemeinschaft, in Welt und Gesellschaft -

 

 Laudatio auf das Institut für Internationale Pädagogik und Didaktik

zur Verleihung des INTR°A Projektpreises 2001 für

Komplementarität der Religionen

am 18. November 2001 in Iserlohn

Bismillah ar-Rahman ar Rahim, Im Namen des barmherzigen, des gütigen Gottes - mit diesen Worten beginnt jede Sure des Koran, außer der neunten. Die gleichen Worte stehen am Kopf der in Königsberg ausgestellten Doktorurkunde IMMANUEL KANTs. Einige begründen dies damit, dass der zuständige Dekan, JOHANN BERNHARD HAHN, Professor für orientalische Sprachen war. ABDOLDJAVAD FALATURIs Erklärung baut weniger auf Zufälle:

„Der Geist der Aufklärung [...] ist nicht nur durch die Befreiung von den ihm angelegten Fesseln gekennzeichnet, sondern vor allem durch die Aufnahme fremder Werte, auch der islamischen. [...] Die in der Sache der Religion mit dem Herzen operierende Vernunft erinnert uns - ohne nachweisbare historische Verbindung - an die islamische Theologie der frühen sunnitischen Schulen (die Mu’taziliten, 8.-10. Jahrhundert) und an die schiitische Schule. Der Ansatz, das Ziel und die Problementwicklung sind hierbei im abendländischen Christentum und im morgenländischen Islam völlig unterschiedlich. Um so mehr bieten sie aber urtümliche Charakterisierungsmöglichkeiten der beiden Kulturen.“[1]

FALATURI beschreibt für die Aufklärung, was wir als „Komplementarität“ der Religionen bezeichnen. Der erste INTR’A Projektpreis für Komplementarität der Religionen wurde im Jahr 2000 einer Person, dem Bildhauer MILE PRERAD, verliehen. Mit seiner Kunst öffnet PRERAD Menschen, gerade auch jungen Menschen, die Augen für das Leben und den Glauben Anderer. Im Jahr 2001 hat sich die Jury des Preises für das Institut für Internationale Pädagogik und Didaktik entschieden. Dessen Mitarbeiterinnen arbeiten daran, Kindern und Jugendlichen die Augen für sich und Andere zu öffnen. Einige solcher Institute hatten sich um den Preis beworben - sie alle, nach Meinung der Jury, auf dem Weg, Verständnis für Religion zu wecken.

Die Orientierungen der Religionen stehen im dritten Jahrtausend unserer Zeitrechnung auf dem Prüfstand. Der britische Religionswissenschaftler John Bowker spricht davon, dass die guten Nachrichten, die die Religionen bringen wollen, oft als schlechte Nachrichten wirken. Wie wahr, möchten viele Menschen sagen. Gilles Kepel, Sozialhistoriker in Frankreich, spricht von der „Rache Gottes“ und zeigt uns gewaltbereite Fundamentalisten in allen großen Religionen.

Die menschlichen Wünsche, ihre Erfüllung oder Unerfüllbarkeit können Ja und Nein zur Religion bewirken. Jugendliche und Erwachsene wollen wenig von den traditionellen, religiösen Institutionen wissen. Doch sie suchen überzeugende Gedanken und Beispiele gelebten Lebens in anderen Gemeinschaften, mal hier, mal dort. So entsteht die Patchwork-Religion.

Trägt so ein Patchwork, wenn es eng wird im Leben? Vertreter verschiedener Religionen haben unter dem Eindruck jüngster Ereignisse verdächtig schnell verkündet, dass die Religion wieder eine Zukunft habe. Der Philosoph und Friedenspreisträger Jürgen Habermas ist da schon etwas vorsichtiger. Junge Menschen aus verschiedenen Kulturen haben an diverse Internetadressen bewegend widersprüchliche Erwartungen geäußert. Pädagogischer Rat und didaktische Hilfen sind gefragt. Beide verdienen Antwort, diejenigen, die nach Religion rufen, und jene, die jede Religion ablehnen.

Das Institut für Internationale Pädagogik und Didaktik (IPD) in Köln hat die Jury überzeugt. Seine Kurse und Veröffentlichungen stellen Grundlagen, Curricula und Unterrichtsmaterialien für die Arbeit mit muslimischen Kindern und Jugendlichen in Deutschland bereit. Dieser Unterricht wird in der Regel von Moscheen getragen. Das Institut hat auch Lehr- und Lernmaterialien für andere Kontexte entwickelt, z.B. eine Handreichung für den Unterricht über Advent und Ramadan in verschiedenen Schulfächern. Die Zusammenarbeit des IPD mit der Werkstatt Weltreligionen in Berlin und mit dem Comenius-Institut in Münster verdient Beachtung: Kooperation mit einer vor-Ort-Initiative auf der einen Seite, mit einem überregional etablierten erziehungswissenschaftlichen Institut auf der anderen.

Was das IPD leistet, ist nicht nur für Mitarbeiter in einer Moschee von Interesse, auch nicht nur allgemein für Lehrerinnen und Lehrer. Diese Arbeit verbindet Gründlichkeit und Offenheit. Darin ist sie für jede Zeitgenossin und jeden Zeitgenossen ein Vorbild, das Leben zu nehmen. Dass viel Arbeit hier ehrenamtlich getan wird, sei im Jahr der Ehrenamtlichen hervorgehoben. Sieben Damen bilden den Stamm des Instituts, Pädagoginnen, aber auch eine Informatikerin und eine Physikerin. Fachliche Scheuklappen sind da weniger zu befürchten. Die Ergebnisse der Arbeit beweisen es.

Den Lehrplänen und Materialien des IPD spüren Leserinnen und Leser ab, dass sie in einer Werkstatt entstehen. Ebenso auch, dass sie immer wieder in der Praxis erprobt werden. Es kann nur positiv genannt werden, wenn von einer Auflage zur nächsten die Entwicklung der Einsichten und ihrer Vermittlung an junge Menschen erkennbar ist. Beigegebene Photo-Collagen und Federzeichnungen lassen auf befreiende und inspirierende Weise die weibliche Hand erkennen. Wo Betrachterinnen und Betrachter noch einen Wunsch offen haben - das gibt es - können sie getrost auf die nächste Auflage warten. Die Verbindung zwischen IPD und Zentrum für Islamische Frauenforschung (ZIF) kommt der didaktischen Arbeit zugute. In den Dekorationen können die Gesichter von Selma Lagerlöff und Bertha von Suttner identifiziert werden. Beide verbanden Entschlossenheit mit Humor.

Die im Namen des Instituts erwähnte „Internationale Pädagogik“ kann beobachtet werden. Nur wenige didaktische Hilfen in Deutschland machen so sachverständig von Vorlagen aus Großbritannien Gebrauch. Beispiele, dass Menschen „von Religionen lernen“, verbinden Arbeiten des IPD und solche in Britannien. Nicht abschreiben, sondern weiterentwickeln, das ist das Internationale an der Pädagogik des IPD.

Die Arbeiten des Instituts IPD zeichnen sich in mehrfacher Hinsicht durch Offenheit aus:

·sie sind durchgängig in deutscher Sprache abgefasst. Wichtige Begriffe aus Lehre und ritueller Praxis des Islam werden in arabischer Sprache und Schrift vermittelt, jeweils mit der Aussprache in Umschrift sowie deutscher Übersetzung;

·die Vorlagen für Lehrerinnen und Lehrer, Schülerinnen und Schüler spiegeln die multireligiöse und multikulturelle Welt, in der Lernende und Lehrende, ja wir alle leben. Sie unterrichten über andere Religionen, ihre Antworten auf die Fragen des Lebens und ihre rituelle Praxis;

·mit ihrer Didaktik und Methodik beherzigen die Autorinnen und Autoren der didaktischen Hilfen 1) die im Koran vorgegebene Toleranz gegenüber anderen religiösen Traditionen; sie berücksichtigen 2) das in der Charta der Rechte des Kindes der Vereinten Nationen und in der Konvention zur Verwirklichung dieser Charta jedem Kind gewährte und garantierte Recht auf seine eigene Religion; sie werden 3) den besten Traditionen verschiedener Religionen gerecht, aber auch dem Erbe der Aufklärung.

·Insgesamt und in Einzelheiten zeichnen sich die Projekte des IPD durch Methodenvielfalt aus. Sie sind, z.B. durch Angebote zu Freiarbeit, offen für unterschiedliche Notwendigkeiten und Interessen von Mädchen und Jungen.

Es verdient Respekt, dass das 1995 inoffiziell, und bald darauf offiziell gegründete Institut in einem halben Jahrzehnt einen so eindeutig offenen Ansatz nicht nur durchgehalten, sondern immer überzeugender ausgearbeitet hat. Die Leiterin, die Islamwissenschaftlerin und Pädagogin Rabeya Müller hat diese Perspektive in Aufsätzen und Interviews überzeugend begründet. Sie plant nicht für einen erwünschten oder erträumten Raum, sondern für die Verwirklichung ihrer Einsichten in dieser deutschen Gesellschaft. Daher deutsche Sprache. Daher sprechen die Teenager in den didaktischen Hilfen wie Teenager und nicht wie aus Ideologie geborene Idealgestalten, fern jeder Wirklichkeit.

Wo vom Fasten im Ramadan geredet wird, kommt ganz selbstverständlich die Erfahrung des Fastens in der hebräischen Bibel, dem Alten Testament, zur Sprache. In diesem Kontext meint ein quirliges Mädchen, sie möchte es mit dem heilsamen Schweigen wohl probieren, wenn sie denn ihren Walkman einschalten könne. Solche Szene muss in Deutschland deutsch daherkommen. So nahe der Wirklichkeit gewinnt dann das aufbauende Lernen arabischer Begriffe aus dem Koran an Überzeugungskraft für junge Menschen. Das passt in die Situation jenes Freitagsgebets am 14. September in Hamburg, an dem nicht-muslimische Gäste teilnahmen.

Bei dieser Gelegenheit sollten wir auf unsere allgemeine Situation blicken. In welcher Welt leben wir? Wer darf seine Kultur, seine Religion leben? Haben die Religionen, wie Rabbiner Stein fragt, eigentlich ihre Aufgabe in der heutigen Gesellschaft begriffen? Wo gibt es denn die Toleranz, von der viele in so großen Worten sprechen? Von Sheik Jamal, früher an der großen Moschee am Londoner Regents Park tätig, hörte ich, dass sein Vater, ein ägyptischer Bauer zwei Bücher für kostbar hielt: Den Koran und die Psalmen Davids. In Psalm 36,6 heißt es: „Deine Wahrheit reicht, soweit die Wolken gehen.“ Nur Menschen, die das nicht glauben, meinen, sie müssten gegen Mitmenschen für Gottes Wahrheit streiten. Hier liegt die Antwort auf die Frage des Religionswissenschaftlers Gustav Mensching nach „Toleranz und Wahrheit“.

Deutschland und Österreich gehören zu den letzten Ländern Europas, in denen die Verfassung und die Gesetze für die öffentlichen Schulen einen Religionsunterricht vorschreiben, der sich an den Religionsgemeinschaften orientiert, denen die Schülerinnen und Schüler angehören. Die großen Kirchen haben eine Mehrheit in der Bevölkerung. Warum tut sich Mehrheit so schwer, Minderheiten Raum zum Atmen zu lassen, großen Minderheiten wie der muslimischen Gemeinschaft, kleinen Minderheiten wie einigen Freikirchen? Es gibt gewiss Verbesserungswürdiges zwischen den Religionen in der Türkei. Aber für ein gutes Miteinander in Duisburg spielt das keine Rolle. Es gibt übrigens auch vorbildliche Offenheit muslimischer Mehrheit für jüdische Minderheit in Tunesien. Das erwähnen nur wenige.

Der Ausflug in die weite Welt unterstreicht, dass in unserer überschaubaren Welt das Institut für Internationale Pädagogik und Didaktik den INTR°A-Projektpreis verdient, der „für Komplementarität der Religionen“ verliehen. Die in diesem Institut tätigen Damen nehmen für wahr, was in Sure 2,256 steht:

„Es gibt keinen Zwang in der Religion. Der richtige Weg ist nun klar erkennbar geworden gegenüber dem unrichtigen.“

Sie akzeptieren auch, was in Sure 16,36 gesagt ist.

„Er hat jedem Volk einen Gesandten geschickt. ...“

Sie geben ein Beispiel beherzigenswerter Offenheit. Möge es so bleiben. Möge es Nachahmerinnen und Nachahmer finden.


 

[1] Abdoldjavad Falaturi, Immanuel Kants Doktorurkunde und der koranische Einleitungsvers Bism-i Allah-i r-Rahman-i r-Rahim (Im Namen des barmherzigen, des gütigen Gottes), in: DER ISLAM IM DIALOG, Aufsätze von Professor Abdoldjavad Falaturi, 4. Erweiterte Auflage, Köln, Islamische Wissenschaftliche Akademie, 1992. In der zitierten Quelle findet sich ein offensichtlicher Druckfehler. „...Befreiung von den von ihm angelegten Fesseln ...“ Wir haben diesen Fehler in unserem Zitat korrigiert.

 

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Stand: 06. Dezember 2002